mentocome … Eine gemeinsame Arbeit von Rainer Rabowski und Axel Grube aus dem Jahr 1992; erschienen bei dem label 235 / Köln.

Etwa 20 LP´s sind noch erhältlich. Ein CD-Release erscheint im Juli 2017.

Beredtheit der Stille

Die Erfahrung einer Beredtheit der Stille war stets auch Intuition und unmittelbare Erfahrung einer ethischen wie existentiellen Musikalität.

Kol dmamá daka. Ein Stimme zarten Schweigens.
In der Form und Methodik bedeutete es, im Wechsel von Zufall und Auswahl und der Neigung zu Reduzierung und Abstraktion auf die Stille hinzuarbeiten, ihr einen Rahmen zu geben. Gerahmte Stille.

Heraklit: Verständig sein ist die wichtigste Tugend; und die Weisheit besteht darin, das Wahre zu sagen und zu tun in Übereinstimmung mit der Natur, im Hinhorchen.

Und der Prophet Elia  vernimmt die Frage des ›Ewigen‹ an ihn erst in der Stille: „Was willst du hier, Eliah“.

Ich möchte behaupten, das die Entstehung von „mentocome“ auf dem „Genuss“, Momenten der Erfahrung des unfasslich Guten beruht.
Der Nachweis allerdings auf den Satz „now is the time for all good men to come …“ erfüllt nicht gerade mit Behagen. So verweist etwa der Nachsatz „ … to the aid of their country“, auf eine Kultur des „Guten“, die sich mitunter in moralischer Zweck-Transformation in massloser Gewalt und Zerstörung äussert.

Gleichwohl – als der Satz plötzlich nachts in einer Messehalle erschien – er kam plötzlich, bedingt durch irgendeine technische Verzögerung, auf einem sonst leeren Din-A4 Bogen aus dem Schlitz in einer weissen Wandfläche (aus der irgendwie messebaulich abgecachten Druckmaschine – auch noch – eines US-amerikanischen Herstellers) – war ich berührt.

Echo des Himmels, heiliges Herz – mit dem Bild eines Komplements, mit dieser Ermunterung meint Hölderlin den Menschen, der zur Korrespondenz und exzentrischen Bahn in dieser Spanne wesentlich begabt ist und innerlich sich aufgerufen fühlt.
Es ist eine Sache der Lust und des Genusses. Geht auf wahrem dein Fuss nicht wie auf Teppichen?
Die Kunst umspielt dabei, sie fliegt um die Wahrheit, aber mit der entschiedenen Absicht sich nicht zu verbrennen. Die Demut gegenüber dem Geheimnis ist das Komplement der Leidenschaft für den Ansturm gegen die Grenze: In der Offenbarung dem Geheimnis gerecht werden.
Ein blindes Schmecken, ein Hinüberbringen, eine Einübung: Unsere Kunst ist ein von der Wahrheit geblendet sein. Das Licht auf dem zurückweichenden Fratzengesicht ist wahr, sonst nichts. Humor und Offenheit der erratischen Erkenntnis. Sie will nicht entlarven, nur den Geschmack ins grüne Leben bringen. 

Die besondere Begabung im Horchen; das Erlebnis des Gleichnisses, umso mehr, wenn es in die Stille ragt. In der Form eines Rhythmus, eines Gewebes von Stille. Ein kahl Gefild, eine gerahmte, eine provozierte, beredte Stille: die Resonanz einer Stimme zarten Schweigens: Stillebildend weht, wie ein kahl Gefild, der Othem der Natur dich an. 

Der Begriff Offenbarung, in dem Sinn, dass plötzlich, mit unsäglicher Sicherheit und Feinheit, etwas sichtbar, hörbar wird – Organ und Methodik. Analogische Methodik: Im Vortasten, im gestalterischen Wechsel von Zufall und Auswahl, im blinden Gleichnis. Die Fähigkeit, in der dunklen Leere einen Ort zu finden, wo der Strahl des Lichts, ohne das dies vorher zu erkennen gewesen wäre, kräftig aufgefangen werden kann.

I Der Name

»Jetzt ist die Zeit für alle aufrechten Männern sich zu versammeln zum Wohle ihres Landes ihrer Führerschaft hilfreich zusammen zu stehen…«

Wahrscheinlich erstmals gesprochen im US- Constitution Gathering:
So, fellow citizens, now is the time for all good men to come to the aid of their country… to demand transparency, sovereignty and independence. I‘d love to have all this alarm proved false, but this is no trivial matter. So, now is the time to be searching out the facts and insisting that the United States of America shall remain one nation under God. (Der Name des Erstsprechers wird nirgends genannt.)

In der modern adaptierten Form ist daraus ein Schreibmaschinenlehrer-Satz geworden. Die Kolportage weiß: „Now is the time for all good men to come…“ court reporter Charles Weller tapped out when his friend Christopher Sholes asked him to test an early prototype of the typewriter in 1867.

Ein Satz, der ab nun aus mehreren Quellen zu denken ist und sich im Laufe der Zeit dann auch durch seine – mit leichtem Pathos einen gewissen Ernst aufrufende – Abwandelbarkeit in seinen Sprechbaustein-Charakter verwandelt: Er wird zur rhetorischen Leerstelle mit wahlweise Bibelanklängen oder solchen an amerikanisch- fundamentalistischen Nationalstolz, ist aber bereits ein Placebo, dem der Grund der Kur abhanden kam.

Im Kirchenzusammenhang:
„…the time is come which all good men have wished for, that the gentlemen of England may serve the Church of England…“
(Daniel Defoe, „The Shortest Way With The Dissenters“, 1702)

Als Parteivorsitzendenbeschwörung: „Now is the time for all good men and women to come to the aid of their party“. ( http://www.bartleby. com/73/1388.html )

Weitere Variante in der Politik:
This is, I say, the time for all good men not to go to the aid of their party, but to come to the aid of their country. (Eugene J. McCarthy)

Die Funde als Sprech-Modul im – das Deklamatorische interessanterweise mit dem Aufkommen der Werbung (Soap) mehr und mehr in ationierenden – TV-Zeitalter sind zahllos. “Jetzt ist die Zeit für das brandneue Kartoffelpupper von XY~$*} das jedermann schmeckt.”

Die aktuellere Legende spricht von diesem Satz als einem vorgefundenen auf einem IBM-Printer- Probeausdruck auf einem Messestand, Düsseldorf, ca. Mitte der Neunzehnhundertachtiger Jahre.

Die Wege des Herrn sind unerforschlich. 

II „Nichts geht verloren“

Inwiefern ist ein Name, eine Narbe, eine Adresse notwendig, eine Einschreibung um ein Ereignis zu ankern? Löst es sich auf, wenn es unverbunden bleibt? Die Nabelschnur… gegen Brandung und Irrfahrt, sagt Demokrit.

Gewisse vorsokratische Vorstellungen von Sphärenmusik, von einer Gegebenheit oder Vorgängigkeit von Musik waren damals wichtig, der Utopos eines von Absichten bereinigten Klangs. Setzungen und Zufälle und Cage‘sche Techniken brachten Inspirationen. Aber: Der Traum von der größeren Ordnung, der anderswelthaltigen Objektivität – erzeugt er nur weitere subjektivistische Ungeheuer?

Das Melos hatte sich zunehmend aufgelöst zugunsten von Abstraktionen, in denen Gestaltung eher nur als deren „Dekonstruktion“ vorkam und die Pause die wesentliche Ordnungseinheit zwischen geräuschhaften Einsprengseln, „strukturellen Vakuums uktuationen“ war.

(Der Leukipp‘sche Atomismus. Später gedacht: Wenn alles in der Welt aus Atomen besteht, das Atomgebilde aber, nach seinem Modell eines Kerns und seiner Orbitanten, selber wesentlich leer ist, nahezu unendlich leer – ein beliebiges Atom wäre im Maßstab bereits nahezu unendlich viel größer als unser Sonnensystem: und es wäre also nahezu vollständig leer – wo, wie, als was sich selber in diesem leeren, nahezu entropischen Raum nden? Gibt es also ein eingebautes, eingeborenes… systemisches Moment hin zur Verbindung, zum Zusammenklang, zur Nabelschnur?)

Wenn Stille immer nur annäherungsweise über- haupt möglich ist, sie aber die wesentliche Referenz sein muss vor allem tonal noch Ungebildeten, gibt es eine gewisse Verdünnung an Sinn auch in dem, was man mit seinen Resttönen umkreist. Abstraktion, die Organisation von in der Tendenz immer selteneren Vorkommen – das war der eine Pol. Strenge Auswahl. Heikle Hybridbildungen.

Das andere waren so genannten „Hör-Bilder“, darin die Erfahrung und Phantasie sich wieder von der Idee des Nicht-Verbundenen emanzipieren konnte und konkreter werden, benennbar sein durfte, mit-teilbar in Aspekten eines vage vielleicht wieder kommunizierbaren Allgemeinen, mittels dessen das Hören in die andere Richtung seines Vermögens und seiner Neigungen wollte, auch einmal ins Überbordende, Schwelgerische der gegenständlichen Welt.

Trotzdem: Dabei „…auf die Stellen lauschen, die man weglassen kann“ (Miles Davis).

In den nicht semantisierbaren Anklängen von Musiken – die sich aufwändig umschreiben lassen, aber derart fast immer doch unzugänglich bleiben – streift man Grenzzonen. (Notenschrift ist ein Notierungssystem bereits aus distinkten Zeichen, eher wie ein Navigierungssystem, eine mathematische Formel, keine eigentliche Schrift.) 

III Linie, Punktschwarm, Wolke

Die vielfach gebrochene Linie – das Fraktal, ein Küstenverlauf heruntergebrochen bis zum Sandkorn, komplexe Selbstähnlichkeiten hindurch die Skalen bis hin zu nur mehr errechenbare Zooms -, all das waren seinerzeit noch keine geläu gen Vorstellungs- geschweige denn schon De nitionselemente, sie entsprechend ihrer Karriere in der dann rasch populär werdenden Chaostheorie schon zu benutzen. (Der Schmetterlings ügelschlag, der den Tornado auslöst… das sich addierende Aufschwingen von Winzigkräften zu unabsehbaren Wirkungen.)

Trotzdem schien sie, die gebrochene Linie, eine brauchbare Verbildlichung um an eine visuelle Entsprechung denken zu lassen für gewisse noch schwer beschreibbare Momente in der Musik, der Akustik, in ihre höhere Au ösung zielende Prozesse von eher Geräuschparameter- als Tonspreizungen. Da gibt es wie organisch erscheinende Umlenkungen mikrostruktureller Ereignisse hindurch Zeitverlangsamungen, wo pumpende, atmende Rauschränder hörbar werden, eine Art Herzschlag gleichsam auch des Mineralischen, das als formale Angleichung zwischen dem Organischen einerseits, der reinen Mathematik andererseits fungiert: Etwas vom Reagens im komplexen Kräftebezug, etwas vom Kristall, etwas Korpuskelartiges, das iterativ der unvorhersehbaren wie der in ihm angelegten Bewegung folgt.

Auch war das damals die Zeit noch vor den „Deterritorialisierungen“, ein Theorie-Ding, das mit seinen Wortfeldern einen Rahmen bot für Bewegungen „das Feld gesellschaftlicher Determinanten“ zu verlassen (was natürlich so schick ist, dass es dann jeder wollte), und das dann einigermaßen wirkmächtig wurde und heute noch seine Restwirkungen entfaltet.

Was die gebrochene Linie und das Verfolgen ihrer Bewegung erlaubt, ist, weniger zeitbezogen, und weniger bezogen auf den Kontext der im Zuge mit Techno und digitalen Selbstproduktionsmitteln aufkommenden „Tausend Plateaus“, was also der Ausschlag der Linie, des Pulses erlaubt ist: „eine exzentrische Positionalität einzunehmen“ (H. Plessner). Von da aus operiert es sich auch leichter mit Unbestimmtheiten.

Heute ist es ein Leichtes, mit einer mathematischen Formel aus eben jener Chaostheorie und ihren Rekursivgleichungen aus einem Punkt eine Wolke, ein Kontinuum entstehen zu lassen, aus einer Linie die Fläche. Die Formel ist selber zum Algorithmus der digitalen Musikerzeugung geworden, mittels deren Präzision allerdings auch oft um den Preis der Unschärfe-Qualitäten, eines meist ja gar nicht genau genug zu bestimmenden Charmes des Dazwischens aus der nicht-linear organisierten Welt. Die reine Linie – sie negiert alle Näherungen, meint im Ideal der Perfektion auch eine letztliche Unzugänglichkeit.